Selbstanlauf Stirlingmotor

Immer wieder taucht die Frage auf, ob ein Stirlingmotor nicht selber anlaufen kann, das heißt, dass man den Stirlingmotor nicht mehr am Schwungrad anwerfen muss. Vor allem bei großen Stirlingmotoren wäre dies von unschätzbarem Wert!

Doppel-Stilingmotor mit Phasenwinkel-Steuerung

 Diese Frage würde ich nach dem jüngsten Stirlingmotor, den ich gebaut habe, nicht mehr generell verneinen, sondern klar bejahen. Dieser Zweisystem-Motor hat eine mechanische Phasenwinkel-Steuerung von +90° bis -90°. Wenn man ihn bei plus 70° Phasenwinkel (stärkste Leistung) laufen lässt und dann die Phasenwinkel-Steuerung innerhalb von weniger als einer Sekunde auf minus 70° umstellt, reagiert der Stirlingmotor nicht nur, indem er stehen bleibt, sondern auch, indem er anschließend in der Gegen-Drehrichtung von alleine wieder anläuft. Siehe auch Beitrag Rekuperation und Video Umschaltungen, von vorne

Allerdings funktioniert das nur in engen Grenzen. Der gleiche Motor mit einem großen Schwungrad bleibt bei dieser Umsteuerung lediglich stehen. Der Grund sind die Dichtungen an den Kolben. Der Motor hat keine Kolbenringe. Er dichtet nur durch das Öl an den Arbeitskolben. Die Passung ist dabei nicht sehr eng, das Öl lässt in jeder Sekunde einen bestimmten Anteil Luft durch. Bei dem langsamen Abbremsen mit dem großen Schwungrad ist dann beim Wiederanlauf zu viel bzw. zu wenig Luft in einem der beiden Zylinder gelangt, so dass dieser Zylinder den anderen beim Wiederanlauf stört. Aber diese Erkenntnis bedeutet auch, dass wenn die Dichtungen besser wären, ein Wiederanlauf mit großem Schwungrad möglich wäre. Im Folgenden sollen sieben Voraussetzungen formulieren werden, unter denen ein Selbstanlauf funktioniert. Der angesprochene Fall der unsymmetrischen Luftverteilung in den Zylindern ist die Voraussetzung 6.

Die anderen Voraussetzungen sind mehr oder weniger trivial.

 

Die Voraussetzungen für einen Selbstanlauf eines Stirlingmotors:

1.    Der Stirlingmotor muss gut vorgeheizt sein, d.h. auch der Regenerator muss seine charakteristische thermische Rampe aufweisen. Gut vorgeheizt bedeutet, mindestens 1,2-mal das Anwurf-Temperaturverhältnisses (siehe Beitrag "Das Kolbenverhältnis" auf dieser Internetseite).

2.    Der Stirlingmotor benötigt zum Selbstanlauf eine Phasenwinkelsteuerung von mindestens 0° auf 70° in einer Drehrichtung. Dies kann als Minimallösung auch eine Phasenwinkelsteuerung sein, die erst bei ihrem Arbeits-Phasenwinkel von zum Beispiel 70° eine Auswuchtung des Motors sicherstellt. Auch vorgespannte Pleuel- oder Kolbenstangen-Verlängerungen bzw. Verkürzungen am Verdrängersystem wären vorstellbar.

3.    Der Motor muss ein Beta- oder Gammatyp sein, also ein richtiger Stirlingmotor mit Verdränger und Arbeitskolben. Ridermotoren (Alpha-Typ) können dagegen nicht selber anlaufen, da man keine Phasenwinkelsteuerung in ihnen einbauen kann.

4.    Der Stirlingmotor benötigt eine Voreinstellung des Schwungrades vor dem Selbstanlauf. Er sollte mit 20° nach dem Totpunkt des Arbeitskolbens plus10°, minus 5° gestartet werden. In anderen Stellungen ist ein Anlauf weniger oder gar nicht möglich. Dabei spielt es keine Rolle, ob dies die oberen oder unteren Totpunkte sind.

5.    Die Phasenwinkelsteuerung muss schnell erfolgen. Es ist deshalb vor Vorteil, dass man durch sie den Verdränger bewegt und nicht den Arbeitskolben. Während dieser Bewegung kann es von Vorteil sein, dass man das Schwungrad oder den /die Arbeitskolben blockiert.

6.    Gibt es mehrere Systeme in einem Stirlingmotor, die in Phase zueinander stehen, zum Beispiel um das ungleichförmige Drehmoment  zu glätten, so müssen alle Systeme zum Zeitpunkt des Selbstanlaufes die gleiche Menge an Gasmoleküle aufweisen. Dies ist in der Regel nur der Fall, wenn es sich um einen Wiederanlauf handelt und die Dichtungen an den Arbeitskolben und Verdrängerkolbenstangen sehr gut sind. Kann eine gleiche Menge an Gasmoleküle nicht garantiert werden, dann ist ein Selbstanlauf nur mit einem System möglich und die anderen Systeme müssen mit einem Bypass zwischen Arbeitsraum und Getrieberaum totgeschaltet und erst später dazugeschaltet werden, wenn der Motor bereits läuft. Bei Vier, Sechs- oder Achtsystem-Motoren (usw.), bei denen mindestens zwei Systeme zur selben Zeit ihren Arbeitskolben-Totpunkt aufweisen, gilt dies entsprechend, dass man mit genau den Systemen den Selbstanlauf verwirklicht, die zur gleichen Zeit ihre Totpunkte haben und die anderen Systeme anfangs totschaltet. Auch hierbei spielt es keine Rolle, ob dies die oberen oder die unteren Totpunkte oder eine Kombination aus beiden sind.

7.    Der Stirlingmotor muss den allgemeinen Anforderungen genügen, die im Beitrag „Checkliste Stirlingmotor„ genannt werden.

 

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