Hilfe, mein Stirlingmotor geht durch

„Hilfe, mein Stirlingmotor geht durch!“ So oder ähnlich tönt der Aufschrei, wenn man hilflos zusehen muss, wie das selbstgebaute, wertvolle Stirlingmotor-Modell plötzlich in den Leerlauf hochschnellt. Zu den hohen Drehzahlen, die gar nicht beabsichtigt waren, gesellen sich vielleicht noch reibende oder knirschende Geräusche. Der Atem stock, der Blutdruck steigt und so schnell wie möglich hält man den Motor an. Täuscht der Eindruck, oder ist der Stirling tatsächlich noch nie so schnell gelaufen?

Sicher hat man den Motor schon mal auf Drehzahlen getestet, hat sich im Leerlauf langsam vorgetastet, den Brenner immer höher gestellt und als zweifelhafte Nebengeräusche entstanden, den Test abgebrochen. Bis zu dieser Brennereinstellung konnte man also gehen. Es wurde eine Maximal-Markierung gesetzt, um den Stirlingmotor nie über diese Brennerstellung zu belasten.

Und trotzdem – jetzt ist der Motor doch durchgegangen! Wie konnte das passieren?

Die Frage gilt es zu klären: Was geschieht eigentlich – nämlich physikalisch – beim sogenannten Durchgehen?

Der Grund für dieses abnorme Verhalten des Stirlingmotors liegt nur oberflächlich betrachtet in der plötzlichen Wegnahme der Last. Wenn man tiefer in die Materie blickt, fallen einem die Temperaturen am Erhitzer auf. Am besten man benutzt dazu ein Infrarot-Thermometer. Beim oben erwähnten Drehzahl-Test im Leerlauf erhöht sich die Temperatur bei steigender Drehzahl kaum. Das Arbeitsgas im Inneren  oszilliert immer schneller und nimmt dabei immer schneller Wärme auf. Oder anders ausgedrückt wird die von außen zugeführte Wärme sofort innen wieder geschluckt. Aber wenn wir nicht den Drehzahl-Test im Leerlauf machen, sondern den Motor durch einen Generator oder eine andere Arbeitsmaschine belasten, stabilisieren wir damit die Drehzahl bei zum Beispiel halber Maximaldrehzahl. Die Brennerleistung wird aber noch weiter bis zur Maximal-Markierung hochgefahren. Der Energieeintrag in den Erhitzer ist schließlich um einiges höher, als die Energieabnahme innen im Erhitzer. Dadurch steigt jetzt die Temperatur am Erhitzer an, man könnte auch sagen, die Temperatur staut sich auf. Dadurch wird das Drehmoment des Motors immer steifer, die Leistung steigt, trotz gleichbleibender Drehzahl. Nach ein paar Minuten ist diese Aufstauung der Temperatur abgeschlossen und damit auch die Leistungssteigerung. Das Temperaturniveau liegt jetzt aber wesentlich höher als beim Drehzahl-Test und das bedeutet, dass wenn jetzt plötzlich die Last weggenommen wird, dass dann die Drehzahl weit über der Maximaldrehzahl des Drehzahl-Testes liegt: Der Motor geht durch.

Und das gilt natürlich auch, wenn die Flamme sofort gelöscht wird. Die aufgestaute Temperatur flaut erst nach 20 Sekunden bis zu mehreren Minuten – je nach Erhitzermasse - soweit ab, dass ein entspannter Leerlauf gewährleistet ist. In dieser Zeit kann vieles kaputt gehen, nicht nur das Getriebe.

Das Phänomen des Durchgehens ist ein stirling-spezifisches Phänomen, das so bei anderen Motoren nicht zu beobachten ist.

  • Das Bild zeigt einen Stirlingmotor, der durchgegangen war

    Noch ein Wort zum „Drehzahl-Test“. Bei kleinen Stirlingmotor-Modellen ist dieser üblich. Bei Leistungsmotoren – vor allem wenn Helium als Arbeitsgas dient – wäre ein solcher Versuch völlig sinnlos. Hier wird die Brennerleistung je nach Motor auf das 20 bis 30-fache eines derartigen „Drehzahl-Test“ eingestellt, damit er das volle Drehmoment abgibt. Umso heftiger würde ein Durchgehen wiegen. Fliehkraftbremsen sind hier unerlässlich. Und wenn sträflicher Weise keine Bremsen eingesetzt werden und auch der elektrische Notbrems-Stromkreis ausfällt, sieht es nach dem Durchgehen in einem Getriebe wie in nebenstehendem Bild aus. Durch einen Blitzeinschlag im nahen Umspannwerk und dadurch bedingten Stromausfall kam es zur Katastrophe. Die M10-Schraube, mit der das Gegengewicht der Kurbel an der Kurbel befestigt war, scherte durch die Überdrehzahlen ab und das Gegengewicht zerschlug das gesamte Getriebe und verzog sogar das massive Sphäroguss-Gehäuse um 0,3 mm. Aus den zerschlagenen Lagern lag überall noch weißes Fett, der Motor hatte erst wenige hundert Stunden auf dem Buckel. Beim Nachrechnen, ab welcher Drehzahl die Scherkraft des Schraubenschaftes erreicht ist, kamen über 20.000 Umdrehungen pro Minute heraus. Helium macht´s möglich. Außerdem gibt es bei Beta-Motoren keinen Überströmkanal, der wenigstens ein klein wenig Widerstand geboten hätte.

    Fassen wir noch einmal zusammen:

    Beim Durchgehen aus der Last heraus gibt es sehr viel höhere Drehzahlen als beim normalen Leerlauf.

    Das Durchgehen ist ein ernst zu nehmendes Phänomen bei allen Stirlingmotoren.