Treppenlose Bahnhöfe
Was
wird nicht alles für das Auto
getan und gebaut:
Autobahnen, Raststätten, Parkleitsysteme in den Städten,
Navigationssysteme
usw. 80% unserer
Wirtschaft ist direkt
oder indirekt aufs Engste mit dem Auto verknüpft. Ja es gibt sogar
ganze
Vereine, die die Interessen der Autofahrer vor der Öffentlichkeit und
dem Staat
vertreten.
Auch
das Flugzeug wird in unserer Gesellschaft hoch gehalten. Der Sprit für
den
großen Adler ist unbesteuert und die Flughafenhallen gleichen Palästen.
Doch
keiner dieser beiden Verkehrsmittel hat eine große Zukunft. Fossile
Treibstoffe
sind endlich und werden immer teurer werden. Das Auto braucht zuviel
davon und
bei einem einzigen Flug wird soviel davon verbrannt, dass die meisten
von uns
es nicht einmal schaffen, im gesamten Jahr soviel mit dem Auto zu
verbrauchen.
Viel
sparsamer und effizienter ist da die Bahn. Es fahren immer noch viele
Menschen
damit, aber obwohl sie in Zukunft wieder eine führende Rolle spielen
wird,
führt sie ein Schattendasein. Während wie gesagt Flughafenhallen
Palästen
gleichen, bringen es Bahnhöfe nicht einmal auf ein bundesdeutsches
Gebäude-Durchschnittsniveau. Die Bausubstanz ist alt und viele
Bahnsteige
unzureichend überdacht.
Und
wenn dann mal saniert wird, wird nach wie vor vom falschen Ende aus
gedacht.
Nach wie vor betrachtet man die Schnittstelle Mensch / Eisenbahn von
der
Eisenbahn her. In ihrer Anfangszeit war sie Statussymbol und eine große
technische Errungenschaft. Da ordnete man die Bedürfnisse des Menschen
gerne
unter. Inzwischen haben wir gelernt: Der Mensch ist nicht für die
Technik da,
sondern die Technik ist für den Menschen da. Oder anders ausgedrückt:
Der
Mensch kann auf die Bahn verzichten, die Bahn macht aber keinen Sinn
ohne den
Menschen. Was heißt das konkret?
Es
heißt nichts anderes, als dass sich das System Bahn an den Menschen
anpassen
muss. Fragt sich nur, an welchen Menschen? Es gibt schließlich
verschiedene.
Die größte Gruppe benötigt keine Ergonomie, keine technische Anpassung
an den
Menschen. Diese Gruppe ist jung, gesund, gelenkig und geschickt,
Treppen sind
kein Hindernis. Auto- und Flugreisende bestehen zu 80% aus dieser
Gruppe, aber
bei der Bahn sind das vielleicht nur 50%. Die andere Hälfte besteht aus
Schwangeren, Mütter mit Kinderwagen, Kleinkinder, Kranke und Alte, so
die
Reihenfolge nach dem Lebensrhythmus, in den wir alle eingebunden sind.
Und es
gibt auch Leute außerhalb dieses Lebensrhythmusses, die nicht gerne
Treppen
steigen: Urlauber mit mehreren schweren Gepäckstücken und schlicht und
einfach
Arbeitnehmer, die müde und abgekämpft am späten Nachmittag nach Hause
fahren.
Überall
in der Technik haben wir Normen. Aber die genormte Bahnsteighöhe und
die dazu
passende genormte Türschwellenhöhe an den Waggons gibt es nicht – trotz
ganzer
Generationen neuer Züge in den letzten 30 Jahren. Wir müssen immer noch
Treppen
steigen, beim sogenannten Einsteigen. Warum? Wer hat da geschlafen?
Aber
das Einsteigen ist nicht das einzige Treppenproblem. Das Umsteigen ist
es
genauso. Übergänge hoch über den Gleisen oder Unterführungen darunter
sind
leider die Regel. Nur an großen Bahnhöfen rechnen sich Rolltreppen.
Aufzüge
sind langsam und völlig ungeeignet für den Ansturm, wenn ein Großteil
der
Fahrgäste eines Zuges in einen anderen muss.
Angesichts
dieser Faktenlage bleibt zu fragen, ob die Umwandlung von Sackbahnhöfe
in Durchgangsbahnhöfe der Weg in die richtige Richtung war.
So
oder so, es muss auf jeden Fall über Treppenersatz nachgedacht werden.
Gibt es
da wirklich keine Lösung? Wo sind unsere vielgepriesenen deutschen
Ingenieure?
Hat die Autoindustrie wirklich alle fähigen Entwickler und Erfinder
abgezogen?
Das Problem an Architekten weiter zu reichen bringt nichts – die bauen
auch nur
wieder Treppen und Aufzüge ein. Nein, die Bahn muss diese Sache selber
lösen,
und ich bin mir sicher, sie kann es auch.
Um
die Bahngleise an einigen Stellen des
Bahnhofes zu überqueren, müssten ebenerdige, bewegliche Brücken her.
Immer,
wenn kein Zug zwischen den Bahnsteigen steht, müssten diese Brücken zum
Überqueren einladen. Wenn sich dann ein Zug nähert, verraten dies
sichtbare und
hörbare Signale, so dass man nicht mehr die Brücken betritt. Schranken
können
die Signalwirkung noch verstärken. Nach einigen Sekunden schwenken die
Brücken
weg, werden hochgezogen oder abgesenkt, je nach Mechanismus. Wichtig
ist, dass
die Brücken jederzeit funktionieren, auch bei über +32 und unter -20°C
und die
Zugstrecke notfalls auch bei Stromausfall freigegeben werden kann.
Ein
anderer Weg, den
Bahnsteig ohne Treppen zu wechseln, ist der altbewährte beschrankte
Überweg
neben einem Bahnhof, wenn sich dort eine Straße befindet. Viele
Fahrgäste sind
dankbar für solche Möglichkeiten in den wenigen derartigen, meist
kleinen
Bahnhöfen. Warum sollte es diese Möglichkeiten nicht in jedem Bahnhof
geben, vielleicht
sogar alle 26 m –
also jede Waggonlänge? Die
Züge kann man so anhalten lassen, dass sich die Übergänge mit ihren
Rampen
immer in der Mitte eines Waggons befinden, dort wo es keine Türen gibt.
So hat
man beim Ein- und Aussteigen immer die volle Bahnsteighöhe zur
Verfügung.
Bleibt
noch ein Problem, das auftaucht,
wenn man nicht nur einen Bahnsteig wechseln muss,
sondern viele. Dann
kann ein stehender Zug den Weg versperren. Aber warum gleich alles so
negativ
sehen. Machen wir doch aus der Not eine Tugend. Wenn ein Zug nun schon
mal
zwischen den Bahnsteigen steht, kann er doch selbst zur Brücke werden!
Dazu
bräuchte man dann allerdings auch direkt auf der anderen Seite des
Zuges einen
Bahnsteig. Und natürlich bräuchte man die genormte Bahnsteig- und
Türhöhe,
sonst ist jeder Zug nach wie vor ein Hindernis. Während der Zug steht,
ist es
nun erlaubt, auf der einen Seite einzusteigen und auf der anderen Seite
gleich wieder auszusteigen. Will der Zug abfahren, so ertönt zunächst
ein
Signal, das
anzeigt, dass durchquerende Reisende nicht mehr einsteigen sollen. Nach
fünf weiteren Sekunden ertönt dann das normale Signal, dass die Türen
gleich
schließen. Danach fährt der Zug ab und die beweglichen
Gleisüberbrückungen
treten wieder an die Stelle des Zuges. Ein solcher Bahnhof benötigt
tatsächlich
keine Treppen mehr.
Nur, wann wird so etwas verwirklicht? Die Betroffenen haben schließlich keine Lobby und was noch schlimmer ist: Unsere Wirtschaft hätte davon keinen Nutzen, wenn die Bahnhöfe treppenlos wären, lediglich die Menschen hätten etwas davon. Aber was sind schon Menschen wert in unserer Gesellschaft der Börsen, Aktionäre und Dividenden. Arme schöne moderne Welt! Immerhin, es könnten über Jahrzehnte viele Arbeitslose bei den Baumaßnahmen in den Bahnhöfen Brot und Arbeit finden. Aber entscheidend wäre ein klarer politischer Wille, unsere Bahn attraktiver zu machen, nicht nur von Seiten der Politiker, sondern auch von Seiten der Bahn.